Rezension: "Meistens Kampf"
Wege mit Plan und Überraschung – 15 Zürcherinnen erzählen
Das Leben von 15 nunmehr  hochbetagten Zürcherinnen kann naturgemäß nur mit Zeitraffer dargestellt  werden. Sonst böte das Leben jeder einzelnen genug Stoff für einen mäßig großen  Band wie diesen. Aber gerade die Raffung leistet den erstaunlichen Blick auf  die Weichenstellungen im Leben dieser Frauen. Gerade das Straffende gegenüber  ausführlichen Phasen in der Erzählung lässt die Lebensschritte zwischen  Vorgaben von außen einerseits und eigenen Entschlüssen andererseits deutlicher  hervortreten: Wie endgültig bleiben die gewählten Schulformen? Wie offen zeigt  sich die berufliche Verwirklichung auch ohne entsprechende formelle  Ausbildungsschritte? Wie viel geben Eltern vor? Wie viel beruht auf  Gegenreaktion der Töchter? Wo überhaupt werden Schritte zum Erfolg gesetzt? Was  gelingt dank der Männer, was trotz der Männer? Was genau ist es, das  freundliche Förderer einbringen? Sind Kinder Bereicherung oder Mitarbeiter oder  ein Programm, das auch noch abgehakt werden muss, trotz vollständiger Auslastung?  Welche Geschwister sind Bremse, welche sind Stütze?
                 
               
Die Porträtsammlung von  Dorothee Degen-Zimmermann ist umso bedeutender, als die Entwicklungsmöglichkeiten  für Frauen in der Schweiz lange Zeit noch strenger reglementiert waren als in  Nachbarländern. Der Kampf der Frauen um gerechte Entfaltungsmöglichkeiten war  also hier noch härter. Nicht immer aufgrund von tatsächlichen Reglementierungen  sondern aufgrund von eisernen Erwartungen, oder indem Frauen gedankenlos still  übergangen wurden. In manchen Kantonen erhielten Frauen erst in den 1970er  Jahren das eidgenössische Wahlrecht. Zugleich ist erstaunlich und bedrückend zu  erfahren, dass viel mehr Schweizerinnen direkt vom Krieg betroffen waren als Deutsche  dem Lande normalerweise unterstellen. 
                 
               
Der Bogen der Porträts ist  von einer armen Bäuerin gespannt, die es lebenslang knapp hatte und pausenlos  arbeiten musste (zumal der Mann seinem Leben ein Ende setzte), bis zu einer  ledigen Pfarrerin oder von einer Kunstmalerin über eine Bardame bis zur  Geschäftsführerin des ersten Musikhauses am Platze. Worin bestehen nun die  entscheidenden Schritte und Weichenstellungen zum Durchhalten und zum Erfolg? Das  ist die Leitfrage. Sie erklärt sich in diesem Buch, weil sie an das Leben so verschiedenartiger  Persönlichkeiten und ihren Wegen gestellt wird, und sie erweist sich als  Schlüssel zu dem, was diese Geschichten uns zu sagen haben. 
                 
               
Heraus kommt eine Sammlung,  für die man dankbar ist. Denn durch alle Porträts ergibt sich ein Eindruck von  Dankbarkeit, Zufriedenheit und Mut der Porträtierten im Blick auf ihren Weg,  und vor allem die Ermutigung der Lesenden: Welcher Dein Weg auch sei, gehe ihn  mit Mut und nimm ihn an, er ist gut. Der querschnittsgelähmte Sportler Boris  Grundl regt in seinen Persönlichkeits-Seminaren zu der Frage an: Was haben  andere davon, dass es mich gibt? Wenn auch ohne Absicht, gibt das Buch  beispielhafte Antworten durch das Leben dieser Frauen, die sich zu sich selbst  bekannt haben, und macht Lesern und Leserinnen Mut, dass dieser Sinn gefunden  und erlebt werden kann. Auch wenn in fast keinem Leben der Kampf fehlt. 
                 
               
Die Autorin Dorothee  Degen-Zimmermann, selbst Zürcherin und Mutter dreier Söhne, kennt nicht nur das  Zürcher Umfeld selbst. Aufenthalte in Südostasien oder Deutschland begünstigten  die Wahrnehmung der Chancen oder Erschwernisse von Frauen unter unterschiedlichen  Lebensbedingungen und Historien. Ihre mehrjährige Erfahrung als Redakteurin und  Journalistin zeigt sich an dem geschickten Umgang mit der großen Faktenfülle  sowohl, was die Auswahl überhaupt betrifft, als auch die Wahl zwischen  Zeitraffer oder Zeitlupe. Ihre Erfahrung als Übersetzerin zeigt sich an dem zugleich  präzisen und genießerischen Umgang mit der Sprache und einzelnen Ausdrücken,  die alle am Schluss des Buches in einem Glossar erläutert werden, so dass man  mitgenießen kann. Das alles macht, dass diese spannende Sammlung nicht nur für  die persönliche aufbauende Lektüre geeignet ist sondern auch als Grundlage für  Gruppengespräche an einzelnen Abenden oder Wochenenden. Wir leben länger! Schon  alleine deshalb braucht man Nahrung fürs Leben. Diesem Gebrauch entspricht auch  die solide Verarbeitung als gebundenes Buch: Seine Welt ist eher das Lesen in  Muße, doch es ist auch in elektronischer Form erhältlich.
                 
               
A. Martin Steffe, Hamburg
                 Im Mai 2014
                 
               
Degen-Zimmermann, Dorothee: „Euch zeig ich’s!“ 15 Zürcherinnen erzählen. Zürich 2014, Limmat Verlag, 255 Seiten. ISBN 978-3-85791-743-1. sFr. 38.―, € 35.―, auch als E-Book erhältlich: www.limmatverlag.ch
                 
                 
               
Die Zeitschrift gesundheit-reisen-kultur.de (Öffnet in einem neuen Tab) erscheint in unregelmäßigen Abständen. Ihr Merkmal ist die persönlich recherchierte, authentische Information zu den beiden Themenbereichen Gesundheit (Öffnet in einem neuen Tab) und Reisen und Kultur (Öffnet in einem neuen Tab).
A. Martin Steffe
